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„Man hat nicht den Beruf des Arztes, man ist Arzt!“


Bei der 13. Begrüßungsveranstaltung der Ärztekammer Nordrhein für ihre neuen Mitglieder sprach Universitätsprofessor Dr. Heiner Fangerau, Lehrstuhlinhaber am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düs

von Horst Schumacher

Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, hat im September die neuen Kammermitglieder im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft willkommen geheißen. Bei der 13. Veranstaltung dieser Art erläuterte er die Aufgaben der Kammer: Als öffentlich-rechtliche Körperschaft entscheidet sie in Selbstverwaltung auf der Basis des Landes-Heilberufsgesetzes über wichtige Fragen der Berufsausübung. Zum Beispiel verabschiedet die Kammerversammlung, die eine Art Parlament der Ärzteschaft im Landesteil ist, die Weiterbildungsordnung und die Berufsordnung. „Sie kommen zu uns nicht als Kunden, sondern werden mit Eintritt in den ärztlichen Beruf Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft – und haben damit das Recht, Ihre ärztliche Selbstverwaltung mitzugestalten“, sagte Henke.

Die rheinische Ärztekammer nimmt die beruflichen Belange ihrer mehr als 59.000 Ärztinnen und Ärzte im Landesteil wahr, etwa durch Kontakte mit der Landesregierung, dem Landtag und den Medien. Sie ist ­jedoch keine reine Interessenvertretung wie die ärztlichen Verbände, sondern gesetzlich auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben verpflichtet. Sie versteht sich auch als Service-Institution, die ihre Mitglieder in allen Belangen rund um die ärztliche Berufsausübung unterstützt. Ganz überwiegend erledigt die Kammer ihre Aufgaben in Selbstverwaltung; in kleinerem Umfang erfüllt sie, nur dann weisungsgebunden, auch staatliche Aufgaben.

Wesentliche Selbstverwaltungsaufgaben sind neben der ärztlichen Weiterbildung auch die ärztliche Fortbildung und die Qualitätssicherung. An der Krankenhausplanung des Landes sind die beiden ­Ärztekammern in Nordrhein-Westfalen unmittelbar beteiligt. „Die Kammer versteht sich als Institution zur Wahrung der Qualität ärztlichen Handelns“, sagte der Präsident. Zu den Kernaufgaben gehört auch die Berufsaufsicht: Die Kammer definiert in der Berufsordnung die ethischen Anforderungen an das ärztliche Handeln und sanktioniert Verstöße gegen das Berufsrecht.

Bei Behandlungsfehler-Vorwürfen schlichtet die bei der Kammer eingerichtete unabhängige Gutachterkommission. Auch bei Streitigkeiten über privatärztliche Honorarforderungen bietet die Ärztekammer eine Schlichtung an. Die Patientenberatung und die Kooperationsstelle für Selbsthilfegruppen und Ärzte stehen Bürgern und Ärzten mit Auskünften zur Verfügung. Zur Alterssicherung ihrer Ärztinnen und Ärzte hat die Kammer die Nordrheinische Ärzteversorgung eingerichtet.

Die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer ist verbunden mit - nach Einkommen gestaffelten - Pflichtbeiträgen. Die Mitglieder ihrerseits können die Entscheidungen der Kammer auf demokratischem Wege mitgestalten, etwa mit ihrer Stimme bei den Wahlen zur Kammerversammlung, der 121 Mitglieder angehören – oder auch als gewählte Mitglieder der Kammergremien.

Die Kammerversammlung als höchstes Organ wählt den ehrenamtlich tätigen 18-köpfigen Vorstand, der die Geschäfte der Kammer führt, einschließlich des ­Präsidenten, der ebenfalls ein gesetzliches Organ ist, sowie des Vizepräsidenten als dessen Vertreter. Die Organe werden alle fünf Jahre neu gewählt, ebenso die 27 Kreisstellenvorstände und die acht Bezirksstellenausschüsse. Über 300 ehrenamtlich tätige Mitglieder gestalten in zahlreichen Ausschüssen und Kommissionen die Aktivitäten ihrer Kammer mit.

Motivation, Moral und Professionalisierung

Dem Thema „Ärztliche Identität – was ist das?“ widmete Universitätsprofessor Dr. Heiner Fangerau, Lehrstuhlinhaber am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, seinen Festvortrag. Fragt der Professor angehende Studenten, warum sie Medizin studieren wollen, so ist „Menschen helfen“ eine gängige Antwort, während das Einkommen keine besonders wichtige Rolle spielt. Die Motivation, anderen Menschen zu helfen, scheint also bei angehenden Medizinern identitätsstiftend zu sein – auch wenn man in Rechnung stellt, dass die Antworten nicht unbeeinflusst waren von der angenommenen Erwartungshaltung des Professors.

Identität ist nach Fangeraus Definition das Bild, das man von sich selbst und von seiner eigenen Persönlichkeit hat oder das andere von einem haben. Selbstbild, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen gehören zur Identität, die nicht nur einzelne Personen, sondern zum Beispiel auch Berufe ausbilden können. Die Ärztekammer dient nach Fangeraus Worten dem Zweck, das Selbstbild der Ärzteschaft zu schärfen, das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen zu stärken.

Das ärztliche Gelöbnis, wie es bei der Begrüßungsveranstaltung in der Gruppe abgelegt wird (siehe auch Kasten), kann nach seiner Auffassung zur Identitätsbildung beitragen. Später dann sind es Ereignisse wie der erste Pathologiekurs, den die anderen Abiturienten eben nicht machen, das Physikum oder der erste
Patientenkontakt im weißen Kittel, die schrittweise in eine ärztliche Identität hineinführen.

Ein Höhepunkt der Begrüßungsveranstaltung, die seit dem Jahr 2009 und inzwischen zweimal jährlich stattfindet, ist das Ärztliche Gelöbnis, das die jungen Ärztinnen und Ärzte gemeinsam ablegen. Der Text leitet sich ab von der Genfer Deklaration des Weltärztebundes aus dem Jahr 1948 und vom Hippokratischen Eid. Auch mit ihren Unterschriften auf einer Tafel können die neuen Kammermitglieder bekräftigen, dass sie sich auf die Grundwerte ihres Berufes verpflichten.

Gelöbnis

Für jede Ärztin und jeden Arzt gilt folgendes Gelöbnis:

„Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.

Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben.

Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patientinnen und Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.

Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod meiner Patientinnen und Patienten hinaus wahren.

Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten und bei der Ausübung meiner ärztlichen Pflichten keinen Unterschied machen weder nach Geschlecht, Religion, Nationalität, Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung.

Ich werde jedem Menschenleben von der Empfängnis an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden.

Ich werde allen, die mich den ärztlichen Beruf gelehrt haben, sowie Kolleginnen und Kollegen die schuldige Achtung erweisen. Dies alles verspreche ich auf meine Ehre.“

Wesentlich für die Identitätsbildung im Arztberuf ist nach Fangeraus Worten die Professionalisierung. Ein Beruf wird zur Profession durch fachliche Kompetenz aufgrund wissenschaftlicher Ausbildung, spezielle Zulassungsverfahren und einen „geschlossenen Markt“. Damit ist zum Beispiel gemeint, dass Krankenversicherungen medizinische Leistungen nur mit Ärzten abrechnen.

Hinzu kommen fachliche Selbstkontrolle sowie soziale Legitimation und Handlungsautonomie. „Es braucht Gesetze, die all das erst zulassen“, sagte Fangerau, „die gibt es erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Legitimation kann der Staat auch zurückfahren oder wegnehmen.“ Macht, Autorität und Selbstverwaltung der Ärzteschaft wurden nach ­Fangeraus Überzeugung nur gewährt als Gegenleistung für die Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen. Heute haben sich diese Erwartungen nach seiner ­Meinung verändert – von der Hoffnung auf Erleichterung hin zur Forderung nach Heilung. Privilegien der Ärzteschaft sieht er auch gefährdet durch Missbrauch in der Vergangenheit und Skepsis gegenüber der heutigen Medizin.

Der Medizinhistoriker setzt den Start des Professionalisierungsprozesses in Deutschland mit dem Kurierverbot für nicht-approbierte Heiler in Preußen im Jahr 1851 an. Dort vereinheitlichte man im Jahr 1861 die Ausbildung und führte das Physikum ein. Beim einzelnen Arzt führe die Professionalisierung zu der Wahrnehmung: „Man hat nicht den Beruf des ­Arztes, man ist Arzt!“ glaubt Fangerau. Die „Standesmoral“ sei von großer Bedeutung für die Identität des Arztberufes.

Moralische Grundsätze, wie sie heute in der ärztlichen Berufsordnung formuliert sind, unterliegen dem historischen Wandel, wie Fangerau sagte. „Die Entwicklung der ärztlichen Ethik ist ein Prozess, an dem Sie selber teilhaben, und den Sie in der Ärztekammer mitgestalten können. Ethische Fragen werden laufend diskutiert, und dabei können Sie mitmachen“, gab er den neuen Kammermitgliedern mit auf ihren Berufsweg.